«Man erlebt, wie hierzulande Gesetze gemacht werden»

MAKING-OF Für Adrienne Fichter ist das Öffentlichkeitsgesetz ein wertvolles Instrument. Damit dokumentierte die Gewinnerin des Prix Transparence, wie die elektronische Identität in der Schweiz privatisiert werden sollte. Doch nicht alle ihre Recherchen laufen reibungslos.
2021 stimmte die Schweiz über das E-ID-Gesetz ab. Die Vorlage war umstritten, denn das Verwaltungs-Projekt war in privaten Händen gelandet. Die Republik-Journalistin Adrienne Fichter wollte wissen, wie es zu diesem Sonderweg kam. Mit dem Öffentlichkeitsgesetz konnte sie zeigen, wie Wirtschaftsverbände die E-ID massiv mitgestalteten.
Auch wenn der Bund in diesem Fall kooperativ war, wünscht sich die Journalistin mehr Sensibilisierung auch bei Medienschaffenden. Sie sollten mithilfe der Öffentlichkeitsgesetze öfters gezielt nach Dokumenten fragen.
Mit deiner Recherche zur E-ID hast du den Prix Transparence gewonnen. Hattest du zuvor bereits Erfahrung mit Zugangsgesuchen?
Es war mein erster Artikel, in dem ich umfassend das Gesetz als Hauptrecherche-Instrument benutzt habe. Innerhalb von vier bis fünf Wochen habe ich es hier sicher dreimal eingesetzt. Davor habe ich das Gesetz punktuell benutzt, als Teil einer Recherche.
Wie bist du auf die Idee gekommen, zur E-ID zu recherchieren?
Ich habe das E-ID-Projekt von Anfang an kritisch begleitet. Im Hinblick auf die Abstimmung war es mir bewusst, dass noch Erklärungsbedarf besteht. Von verschiedenen Quellen hatte ich mitbekommen, dass das Modell anfänglich vom Staat hätte umgesetzt werden sollen. Ich wollte verstehen, wieso die E-ID am Schluss privat herausgegeben werden sollte.
Medienschaffenden über den Rücken geschaut
In der Serie «Making-Of» berichten wir aus der Werkstatt von Journalistinnen und Journalisten, die in ihrem Alltag mit den Öffentlichkeitsgesetzen von Bund und Kantonen arbeiten.
Bereits erschienene Beiträge:
Kilian Küttel: «Mit dem Gesetz kann man den Staat im Auge behalten»
Eric Lecluyse: «Das Recht auf Information kann nicht verhandelt werden»
Marie Parvex: «Eine erfreuliche Nachricht für die öffentliche Gesundheit»
Martin Sturzenegger: «Das Gesetz ist ein sehr effektives Druckmittel»
Lucien Fluri: «Mit dem Gesetz kommt man an spannende Geschichten»
Célia Bertholet: «Der hartnäckige Widerstand hat mich überrascht»
Stefanie Hablützel : «Ich konnte die Panne erstmals rekonstruieren»
Camille Krafft: «Mit unserem Kampf haben wir deutliche Zeichen gesetzt»
Timo Grossenbacher: «Auch Algorithmen müssen grundsätzlich öffentlich sein»
Dimitri Zufferey: «Wir holten wichtige Fakten aus Behörden-Schubladen»
Judith Stofer: «Die sehr ablehnende Haltung hat uns motiviert»
Guillaume Chillier: «Die Behörden daran erinnern, dass es ein Gesetz gibt»
Mario Stäuble: «Zugangsrechte können eine Recherche entscheiden»
Ludovic Rocchi: «Die Öffentlichkeitsgesetze sind ein positives Druckmittel»
Wie bist du für dein Zugangsgesuch vorgegangen?
Im Rahmen meiner Recherche war ich im Austausch mit Erik Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft. Er kannte sich mit dem Thema bestens aus. Wir haben gemeinsam nach Dokumenten von Sitzungen zum Thema aus den Jahren 2012 und 2014 gefragt. Dank seiner Hilfe und verschiedener Insider-Tipps wusste ich genau, welche Akten relevant sind.
Wie haben die Behörden auf dein Zugangsgesuch reagiert?
Das Bundesamt für Justiz hat sehr schnell und gut reagiert. Viele Dokumente wurden nachgereicht und insgesamt wurde sehr wenig geschwärzt. Das hat damit zu tun, dass das Amt das Öffentlichkeitsgesetz mitgeprägt hat und um die Bedeutung des Instruments weiss. Auch wenn ich sehr positiv überrascht war, wurde mir ein entscheidendes Sitzungsprotokoll verweigert.
Was war die Begründung des Bundesamts?
Es wurde mir gesagt, es gebe gar nichts Schriftliches dazu. Das ist unmöglich, denn die anderen Dokumente referieren auf dieses Protokoll. In diesem fehlenden Dokument ist der Grundsatzentscheid festgehalten, das bisherige E-ID-Modell so liegen zu lassen und alles neu zu beginnen.
Was steht in den Dokumenten, die du erhalten hast?
Aus den Sitzungseinladungen, die nicht geschwärzt wurden, wusste ich genau, wer die Architekten der E-ID waren. Die Dokumente zeigen, wie man zu Beginn sehr breit eingeladen hat. Gegen Schluss wurden dann nur noch die Wirtschaftsvertreter eingeladen. Zivilgesellschaft und Forschung waren abwesend, obwohl die Hochschulen am Anfang eine grosse Rolle gespielt hatten.
Was war das Eindrücklichste bei deiner Recherche?
Ich konnte erleben, wie hierzulande Gesetze gemacht werden. Es ist wie ein Dialog: Die Bundesverwaltung sass mit den Wirtschaftsverbänden zusammen. Private Akteure diktierten ganze Gesetzes-Passagen.
Welche Lehren ziehst du aus deiner Recherche?
Dass ich auch in Zukunft wenn immer möglich nach Dokumenten fragen werde. Ich hatte sehr gezielte Fragestellungen, da ich von Sitzungen wusste, die stattgefunden hatten. So konnte ich wiederholt gezielt nachfragen. Aber man kann auch zu Beginn einer Recherche sehr offen nach vorhandenen Dokumenten fragen: Was ist in einem Workshop dokumentiert worden, gibt es ein Protokoll, eine Sitzungseinladung, Präsentationen, Auslegeordnungen, Traktanden?
Wie siehst du das Öffentlichkeitsgesetz als journalistisches Tool?
In den letzten zwei Jahren hat sich das Gesetz für mich zum wertvollen Instrument entwickelt. Ich konnte es sehr gut auch für meine Recherche zur Plattform meineimpfungen.ch einsetzen. Aber im Gegensatz zum Bundesamt für Justiz war das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gar nicht kooperativ.
Wieso das?
Nach der Veröffentlichung meiner Recherche fragte ich nach, wie die Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Stiftung war. Die Dokumente wurden mir fünf Monate später geliefert. Wenn Fristen so verschleppt werden, ist das eine Schwierigkeit, denn die ursprüngliche Fragestellung ist nicht mehr aktuell.
Wie könnte das Gesetz effizienter werden?
Das Gesetz steht leider immer wieder unter politischem Druck. Dennoch ist es eine zentrale Errungenschaft, die Licht ins Dunkel bringt. Deswegen wäre es wichtig, alle Medienschaffenden zu sensibilisieren, wo und wofür sie das Gesetz einsetzen können, aber auch mit welchen Tricks sie an Dokumente kommen.
Hast du bereits neue Recherche-Ideen, für die du das Gesetz einsetzen willst?
Ich habe eine konkrete Anfrage zum elektronischen Patientendossier (EPD) gestellt, bei der das Öffentlichkeitsgesetz zentral ist. Ich möchte erfahren, wie die Zertifizierungen abgelaufen sind. Das EPD ist ein unüberblickbares Dickicht, in dem sich Bundesinstitutionen, private, halbprivate und halböffentliche Akteure treffen. Mein Kollege Patrick Seemann und ich sind gerade am Kämpfen, weil man uns sagt, dass die Firma, welche die Zertifizierungen macht, eine private Institution ist, für die das Öffentlichkeitsprinzip nicht gelten würde.
Machst du auch Anfragen auf kantonaler Ebene?
Mit einem grösseren Team sind wir an einer Recherche über einen Technologie-Konzern. Leider stossen wir bei den kantonalen Behörden auf Granit. Die Diskussionen sind sehr zäh. In diesem Fall wird das Öffentlichkeitsprinzip nicht konsequent umgesetzt.
Interview: Julia Rippstein