Das Öffentlichkeitsprinzip wirkt in der Hochschulpolitik

Unterschrieb umstrittenen Sponsorenvertrag: Patrick Aebischer, Präsident der ETH Lausanne. (Foto: RDB/SI/Kurt Reichenbach)

Von Marcel Hänggi. Für die Wissen-
schaftskommission des Nationalrats ist das Öffentlichkeitsprinzip heute «oberstes Gebot». Der freie Journalist Marcel Hänggi, der bei den Hoch-
schulen immer wieder Transparenz einforderte, schaut zurück. 

 

Nestlé hatte bei der Besetzung zweier Lehrstühle an der ETH Lausanne (EPFL) ein Vetorecht und redet bei der Vergabe von Projektgeldern am selben Institut mit.Das steht im Vertrag zwischen der Hochschule und dem Nahrungsmittelmulti, den ich mit einem BGÖ-Gesuchs «befreit» und am 8. Mai publiziert habe. Ob ein solcher Vertrag mit akademischer Unabhängigkeit vereinbar sei, will ich hier nicht diskutieren. Sicher ist, dass er weiter geht, als die EPFL bislang zuzugeben bereit war.

Der Vertrag stammt von 2006. Damals sagte mir die EPFL, Nestlé erhalte keine Mitspracherechte, weder was die Besetzung der Lehrstühle noch was die Forschungsinhalte angeht. Die EPFL war nicht die einzige Schweizer Universität, die mich belogen hat. Ich habe mit vier Schweizer Hochschulen ausführlicher über ihren Umgang mit privat (mit-) finanzierten Lehrstühlen gesprochen. Drei sagten mir die Unwahrheit, was ich zweimal dank den Öffentlichkeitsgesetzen, einmal zufällig erfahren habe. 

Nebst der EPFL war das 2012 die Uni Zürich, die behauptete, ihr Vertrag mit der UBS sei «nicht geheim» – tatsächlich enthält er eine Geheimhaltungsklausel. Später versuchte die Uni, durch Offenlegung eines eingeschwärzten Vertrags einen falschen Eindruck von dessen Inhalt zu erwecken. Die Uni Basel wiederum sagte mir, sie gewähre privaten Lehrstuhlstiftern keinen Einsitz in die Berufungskommission, denn das wäre «mit der akademischen Unabhängigkeit unvereinbar». Später musste die Schulleitung einräumen, dass Sponsoren «in seltenen Fällen» eben doch – wenn auch ohne Stimmrecht – am Berufungsverfahren teilnehmen. Dazu war es gekommen, nachdem mir Thomas Cueni, Geschäftsführer des Branchenverbands Interpharma, der in Basel einen Lehrstuhl finanziert, von den Sitzungen der Berufungskommission erzählt hatte. Einzig die ETH Zürich sagte mir, soweit ich sehe, nie die Umwahrheit – obwohl auch sie sich gegen meine Akteneinsichtsgesuche wehrte.

«Sehen Sie», sagte mir ETHZ-Präsident Ralph Eichler einmal: «Man verlangt von uns, dass wir unabhängig sind und dass wir mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. Aber zwischen den beiden Zielen gibt es einen Konflikt.»

Die Schweizer Hochschullandschaft ist in den letzten rund fünfzehn Jahren neu organisiert worden. Die Universitäten sind heute «autonom» und nicht mehr Abteilungen der jeweiligen kantonalen oder der Bundesverwaltung. Es ist politisch gewollt, dass sie untereinander konkurrieren. Allerdings sind die Unis nach wie vor zum allergrößten Teil öffentlich finanziert, und sie unterstehen den jeweiligen Öffentlichkeitsgesetzen. Dessen waren sich die Schulleitungen offenbar nicht bewusst. Im Bestreben, im Wettbewerb möglichst gut abzuschneiden, gingen sie in der Kooperation mit privaten Geldgebern weiter als bisher, versuchten aber, das Bild der totalen Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten. Kaum jemand benennt so offen wie Ralph Eichler den Interessenkonflikt, in dem sich die Unis befinden. 

Zwei Wochen brauchte der ETH-Rat, bis er sich zu einem Statement durchringen konnte

In den Debatten, die die Publikation des Vertrags der Uni Zürich mit UBS sowie der EPFL mit Nestlé ausgelöst haben, waren die sachlichen Positionen weit voneinander entfernt. In einem aber waren sich beide Seiten einig: Es braucht Transparenz – man sollte zumindest wissen, worüber man streitet. Dank meiner Akteneinsichtsgesuche an die Uni Zürich (gemeinsam mit Kollege Matthias Daum von der Zeit) und an die beiden ETH dürfte nun klar sein, dass Geheimverträge im Lehrstuhlsponsoring nicht mehr zu legitimieren sind.

Das Öffentlichkeitsprinzip hat Wirkung gezeigt. Die Uni Zürich hat mit Michael Hengartner einen neuen Rektor, der sich von Anfang an für volle Vertragstransparenz aussprach. Das ist wohl seine ehrliche Haltung und hat mit der UBS-Affäre nichts zu tun. Aber es war diese Affäre, die Hengartner veranlasste, bereits während seines Wahlkampfs in aller Deutlichkeit öffentlich Stellung zu beziehen (gegen den damals amtierenden Rektor Andreas Fischer), so dass ein Zurück hinter diese Position nicht mehr denkbar ist. 

Auf Bundesebene fand – zufällig – eine Woche nach meiner Publikation des EPFL-Nestlé-Vertrags ein Hearing der nationalrätlichen Wissenschaftskommission (WBK) mit den beiden ETH und dem ETH-Rat, ihrem Aufsichtsorgan, statt. Der ETH-Rat hatte noch zwei Wochen gebraucht, um mir gegenüber Stellung zu nehmen, als ich meinen Artikel vorbereitete, und diese Stellungnahme lautete, es liege «im Ermessen der EPFL», wie sie ihre Beziehung zu ihren privaten Geldgebern gestalte. Erst nachdem mein Artikel Folgebeiträge in den Schweizer Medien auslöste, rang sich der ETH-Ratspräsident Fritz Schiesser auf die WBK-Sitzung hin – überraschend für alle Beteiligten – zur Position durch, Verträge mit Vetorecht lägen nicht drin. Man wundert sich ein wenig, dass es dazu eines Akteneinsichtsgesuchs unter dem BGÖ bedurfte: Als Aufsichtsorgan müsste der ETH-Rat solche Verträge eigentlich lesen, bevor sie unterzeichnet werden.

Die WBK überschrieb ihre Pressemitteilung vom 16. Mai mit «Das Öffentlichkeitsprinzip als oberstes Gebot». Die Kommissionsminderheit wollte die Pflicht zur Transparenz ins Hochschulförderungsgesetz schreiben, die Kommissionsmehrheit war der Meinung, die Öffentlichkeitsgesetze genügten. Tatsächlich haben meine Akteneinsichtsgesuche gezeigt: Die Öffentlichkeitsgesetze genügen, um Transparenz zu schaffen (zumindest auf Bundesebene und in den Kantonen, die das Öffentlichkeitsprinzip kennen). Man muss sie freilich einfordern.


 

Marcel Hänggi ist freier Wissenschaftsjournalist in Zürich.


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