Gesuche um Zugang zu Mietlimiten in 552 Gemeinden

Unterschiedliche Limiten für die Miete: Gespräch in einem Sozialzentrum in Zürich. (Fotos: Christian Beutler/Keystone)

Von Martin Stoll.  Öffentlichkeitsgesetz.ch hat gemeinsam mit dem Recherche-Team Reflekt eine umfassende Recherche zu Mietkosten von So­­zi­­al­­hil­­fe­­be­­zie­­hen­­den realisiert: Dokumente von 552 Gemeinden wurden angefordert.

Das Projekt entstand im Rahmen des Regionen-Projekts von Öffentlichkeitsgesetz.ch und in Kooperation mit den Redaktionen von «Der Landbote», «Tages-Anzeiger» «Limmattaler Zeitung» «Aargauer Zeitung», «Solothurner Zeitung» und «bz – Zeitung für die Region Basel».

In Zusammenarbeit mit dem investigativen Recherche-Team Reflekt wurde in allen Gemeinden in den Kantonen Zürich, Aargau, Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt ein Zugangsgesuch gestützt auf die kantonalen Öffentlichkeitsgesetze gestellt. Die Gemeinden waren aufgefordert, die geltenden Mietzins-Richtlinien der Sozialhilfe offenzulegen. Zudem fragten wir nach dem Datum der letzten Richtlinien-Anpassung. Dies stellt die grösste von Medien initiierte Anfrage-Serie dieser Art in der Schweiz dar.

Die Gesuche wurden sowohl von grossen Stadtverwaltungen wie Aarau oder Solothurn als auch von Kleinstgemeinden mit 230 Einwohnenden bearbeitet. Dabei kam es zu einem Austausch mit Gemeindeschreibern, Sozialdiensten und verantwortlichen Gemeinderätinnen.

Insgesamt setzten die Gemeinden das geltende Öffentlichkeitsprinzip erfreulich gut um und machten die Mietzinsrichtlinien in der geltenden Frist zugänglich.

Nach Gesprächen lenkten die meisten Gemeinden ein

Während einige Gemeinden die Wichtigkeit der Thematik für ihre Gemeinden betonten und die interkantonale Erhebung befürworteten, waren andere skeptisch. So zweifelten sie die Vergleichbarkeit der Gemeinden an oder erwähnten, dass eine Publikation der Zahlen dazu führen könnte, dass Besitzer von potenziellen Sozialwohnungen die Mietpreise an die Maximalgrenze anpassen würden. Die Zahlen wurden mithilfe der Informationen des Immobilienspezialisten Wüest Partner auf die ortsüblichen Mietzinse angepasst, um ihre Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Einzig die Zürcher Gemeinde Oberweningen (ZH) weigerte sich beharrlich und stellte uns eine anfechtbare Verfügung in Aussicht. Die Gemeinde Känerkinden (BL) hat uns auch nach Ablauf der Frist keine Daten zugestellt. 

Einzelne Gemeinden waren sich nicht bewusst, dass sie gestützt auf das Gesetz grundsätzlich zur Herausgabe des amtlichen Dokuments verpflichtet sind. So weigerte sich die Zürcher Gemeinde Hüntwangen kategorisch, an der angeblichen «Umfrage» teilzunehmen, lieferte die Daten jedoch nach Ablauf der Frist als letzte Gemeinde. Im direkten Gespräch konnte ein Dutzend Gemeinden von der anfänglichen Verweigerung abgebracht werden.

Was arm sein bedeutet, hängt auch vom Wohnort ab

Bei Sozialmieten gibt es Unterschiede von mehreren Hundert Franken.

Wie viel Sozialhilfebeziehende für die Miete ausgeben dürfen, war bislang kaum bekannt. Unsere Recherche «Wohnen am Limit» dokumentiert erstmals grosse Unterschiede in den Kantonen Aargau, Zürich, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Landschaft. 

Die Mietzinslimite für eine vierköpfige Familie variiert zwischen 935 und 2250 Franken netto. Auch unter Berücksichtigung der ortsüblichen Marktmieten zeigt sich eine enorme Bandbreite. Die Differenzen zwischen den behördlichen Mietzinslimiten der durchschnittlichen Marktmiete unterscheiden sich stark – sowohl innerhalb als auch zwischen den Kantonen. Zwei Extrembeispiele: In Oberwil-Lieli (AG) liegt der Ansatz für eine von der Sozialhilfe abhängige Person 452 Franken unter dem aktuellen Marktpreis für eine 1- bis 1.5-Zimmer-Wohnung, in Brislach (BL) 441 Franken darüber.

Grundsätzlich zeigt sich: Im Aargau und in Zürich können Sozialhilfebeziehende durchschnittlich deutlich weniger für ihre Wohnung ausgeben als in den Kantonen Solothurn oder Basel-Landschaft.  Im Aargau liegt die Limite für einen Vierpersonenhaushalt im Schnitt 152 Franken unter der durchschnittlichen Marktmiete für eine 3- bis 3.5-Zimmer-Wohnung. In Zürich sind es sogar 226 Franken. Im Kanton Solothurn hingegen liegt die Limite für einen Vierpersonenhaushalt im Schnitt 18 Franken über der durchschnittlichen Marktmiete für eine 3- bis 3.5-Zimmer-Wohnung. Im Kanton Basel-Landschaft sind es 40 Franken.

Fast die Hälfte hat veraltete Richtlinien

Trotz steigender Wohnkosten haben viele Gemeinden ihre Richtlinien zudem seit Jahren nicht mehr angepasst. Von den 472 Gemeinden, die das letzte Anpassungsdatum bekannt gaben, haben 225 oder 48 Prozent ihre Limiten letztmals vor 2022 angepasst. In den letzten zwei Jahren sind die Wohnkosten aber stark gestiegen. 

Bei der Festlegung der Mietlimiten haben Gemeinden einen grossen Handlungsspielraum: Anders als beim Grundbedarf der Sozialhilfe oder den Ergänzungsleistungen fehlen bei den Mietzinslimiten klare Regelungen zur Berechnung oder Anpassung. In den Leitlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) ist lediglich festgehalten, dass die Richtlinien «fachlich begründet» sein müssen. 

Die Angaben der einzelnen Gemeinden sind hier abrufbar

Sechs Regionalredaktionen und Datenteams arbeiteten eigenständig an lokalen und regionalen Aspekten, konfrontierten Gemeinden und konsultierten Fachpersonen. Eine Datenauswertung über alle Kantone ist unter mietlimite.ch abrufbar.

Finanziert wird das Regionen-Projekt von Öffentlichkeitsgesetz von der Stiftung Mercator Schweiz, der Volkart Stiftung sowie der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung. Damit sollen die demokratische Teilhabe und der Regionaljournalismus gestärkt werden.


Mit den erhobenen Daten wurden Beiträge realisiert von «Der Landbote», «Tages-Anzeiger» «Limmattaler Zeitung» «Aargauer Zeitung», «Solothurner Zeitung» und «bz – Zeitung für die Region Basel».