«Fahriger Umgang mit dem Öffentlichkeitsgesetz»

Die Direktorin des Bundesamt für Gesundheit (BAG), Anne Lévy, kassiert vom Recherchenetzwerk investigativ.ch den «Goldenen Bremsklotz». In seiner Laudatio zählt Co-Vereinspräsident Marc Meschenmoser gravierende Transparenz-Pannen der BAG-Chefin auf.
«Ihr Start mit uns Investigativjournalist:innen war zugegebenermassen kein einfacher. Anfang Oktober 2020, als wir während der Pandemie an all den Pressekonferenzen Ihnen, geschätzte Anne Lévy, Fragen stellen und damit Transparenz gegenüber den Bürger:innen schaffen wollten, genau in dieser heiklen Phase wurde der Zugang eingeschränkt: auf eine Journalist:in pro Medium.
Zum Amtsantritt 2020 haben Sie sich zum Ziel gesetzt, die Qualität des Gesundheitswesens hoch und «bezahlbar» zu halten.
Bezahlbar. Ein gutes Stichwort. Denn einige von uns wollten genauer wissen: Wie viel kostet uns Prämienzahler:innen so eine Impfung? Und: Welche Bedingungen haben die Pharmakonzerne der Schweiz gestellt, um möglichst prioritär mit Impfstoff beliefert zu werden? Ebenfalls hätte uns interessiert: Wie weit ist Ihr Bundesamt der Industrie entgegengekommen, als Sie, geschätzte Frau Lévy, die Impfverträge ausgehandelt und unterzeichnet haben?
Doch wie Investigativ.ch-Mitglied Petar Marjanovic auf Watson.ch aufzeigte, haben Sie, Anne Lévy, eine Vereinbarung mit dem Pharmakonzern Moderna unterschrieben, in der Sie vertraglich zusicherten, dass Ihr Bundesamt, ich zitiere, «die Offenlegung dieser vertraulichen Informationen einschränken oder verhindern muss.»
Sie haben damit versucht, das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung vertraglich auszuhebeln.
Dies ist Ihnen nicht schlecht gelungen, wie die komplett geschwärzte Preiskalkulation der Impfungen in Ihren Verträgen mit der Pharmaindustrie zeigt.
Sie haben dem Vorstand investigativ.ch geschrieben, dass Sie unsere Kritik nicht nachvollziehen können und führen aus, dass von 217 Einsichtsgesuchen nach dem Öffentlichkeitsprinzip das BAG 82 «nachgefragte Dokumente vollständig offengelegt» hat.
Geschätzte Frau Lévy: wir hätten gerne mit Ihnen auch darüber gesprochen. Und wir hätten vor allem mit Ihnen gerne darüber diskutiert, warum Sie ausgerechnet jene amtlichen Dokumente einschwärzen lassen, dort, wo es politisch brisant wird, also dort, wo es um viel Geld und Einfluss geht.
Sie entgegnen: die geschwärzten Impfverträge enthielten Geschäftsgeheimnisse. Also Geheimnisse der Pharma. Und: bisher habe kein Richter Sie gezwungen, diese Informationen öffentlich zu machen.
Unliebsame Medien «weniger prioritär» behandeln
Doch leider sind intransparente Corona-Impfstoff-Verträge keine Ausnahme. Zahlreiche besorgte Eltern sind während der Corona-Pandemie an die Medien gelangt mit der Frage: Wie steht es um die Luftqualität in den Schweizer Schulen? Gibt es Luftfilter, die die Kleinsten vor schlechter Luft und einer möglichen Verbreitung von Coronaviren in ungelüfteten Schulzimmern schützt?
Und alle die, die in der Schule schon mal eingenickt sind, wissen: Frische Luft ist zum Lernen nicht die schlechteste Voraussetzung.
Die Rechercheredaktion von Ktipp fand heraus: Engagierte Fachleute in Ihrem Amt veranlassten, dass national die Luftqualität in 100 Schulen gemessen wurde. Lange vor der Corona-Pandemie übrigens, zwischen 2013-2015. Die Investigativjournalist:innen wollten die Messresultate veröffentlichen und vor allem berichten: Welche Lehren haben die Behörden gezogen, um in der Corona-Pandemie die Schulkinder zu schützen?
Im September 2021 erhielten Sie ein Gesuch nach dem Öffentlichkeitsgesetz, die Messresultate offenzulegen. Neun Monate lang dauerte das Armdrücken der Journalist:innen mit ihrer juristischen Abteilung. Ihr Argument: Man könne die Luftqualität in Schulen leider nicht öffentlich machen, da das Bundesamt den Schulen Anonymität versprochen habe. Öffentliche Schulen.
Erst als der eidgenössische Öffentlichkeitsbeauftragte Ihr Amt dazu aufforderte, die Daten bekanntzugeben, rückte es die Luftmessungen heraus. Resultat: Die Luftqualität war an dutzenden Schulen miserabel – teils über dem vierfachen, was ihre eigenen Fachleute als kritischen Wert einstufen.
Ktipp titelte wegen fehlender Massnahmen im Anschluss an die Messungen, dass dem BAG die Gesundheit der Kinder ziemlich egal sei. Darauf schickte ihr Mediensprecher eine Stellungnahme, mit einem Ultimatum: «Wir bitten Sie unseren Leserbrief ungekürzt zu veröffentlichen. Andernfalls behalten wir uns vor, Anfragen Ihrer Zeitschriften künftig weniger prioritär zu behandeln.» Weniger prioritär – nach neun Monaten Verweigerung, brisante öffentliche Daten an die Medien herauszurücken…
Ohne gute Gründe auf den Rechtsweg gezwungen
Sie haben mal gesagt: ein Hund sei das beste Antidepressivum. Und erklärt, dass Ihr Hund mit dem Namen «Nöfa» Sie treu ins Büro begleite – und Sie zum Mittagsspaziergang zwinge.
Zwingen wollten die Rundschau sowie der Ktipp Sie nicht: Aber sie verlangten Einblick in die geheimen Preisverhandlungen der Pharmaindustrie mit dem Bundesamt.
Insbesondere für spezifische Krebsmedikamente, die immer teurer und von der Allgemeinheit mit den Krankenkassenprämien bezahlt werden. Begründung: Die Öffentlichkeit müsse die vertraulichen Medikamentenpreise und die Genehmigungspraxis des Bundesamts für Gesundheit nachvollziehen und kontrollieren können. Es bestehe ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Kosten im Gesundheitswesen transparent sein sollten.
Dieses Gesuch ist bei Ihnen im August 2020 eingegangen. Nach zwei Jahren Schriftwechsel mit Ihrer grossen Anzahl Anwälten im Amt: Heute warten wir Investigativjournalist:innen immer noch auf die Dokumente aus Ihrem Amt.
Diesen Sommer, im Juli 2022, hat der Eidgenössische Öffentlichkeitsbeauftragte Ihnen, geschätzte Frau Lévy, empfohlen, die Preise bekanntzugeben. Das BAG hat diesen Herbst schriftlich begründet, weshalb die Preise auf der Spezialitätenliste – also besonders teure Pillen – auch künftig nicht öffentlich gemacht werden sollten: «Vertrauliche Preismodelle sind mittlerweile zur Regel geworden. Weil die Schweiz ein wichtiges Referenzland für die Preise im Ausland ist, verzichten Unternehmen sodann lieber darauf, die Arzneimittel in der Schweiz anzubieten, als einen öffentlich bekannten, aus ihrer Sicht zu tiefen Preis zu akzeptieren.»
Investigativjournalist:innen, die Transparenz schaffen wollen, ziehen den Fall jetzt vor das Bundesverwaltungsgericht. Viele Investigativjournalist:innen hier im Saal machten ähnliche Erfahrungen.
Keine Zeit für kritische Fragen
Anne Lévy, Sie sagten mal über sich selbst: Sie würden einen nine-to-five-Job hassen. Und in Ihrem Brief an uns schrieben Sie: Unsere Begründung für die Verleihung des Goldenen Bremsklotz an Sie sei – unhaltbar. Zitat: «Das BAG hat gerade in der Bekämpfung der Pandemie gezeigt, dass auch Bundesbern aufs Gas drücken kann.»
Geschätzte Frau Lévy: Den Goldenen Bremsklotz konnten Sie wegen Ihrer «dichten Agenda» nicht persönlich entgegennehmen. Das bedauern wir. Auch, dass Sie in Bern an Ihrem Sitz offenbar keine Zeit hatten, den Bremsklotz von uns entgegenzunehmen.
Vielleicht aber erinnert Sie der Goldene Bremsklotz in Ihrem Büro ja künftig daran, auch ein bisschen aufs Gas zu drücken – dann, wenn es um Transparenz, die Geschäftsinteressen der grossen Pharmafirmen und politisch heikle Dossiers geht.»