Weg von der Geheimhaltung: «Wir haben massiv informiert»

«Das kann auch ein handschriftlicher Notizzettel sein»: Öffentlichkeitsbeauftragter Tanner über amtliche Dokumente.

Von Eva Hirschi. Seit dem 1. Juni 2022 ist im Thurgau ein kantonales Öffentlichkeitsgesetz in Kraft. Der Öffentlichkeitsbeauftragte Fritz Tanner zieht nach dem ersten halben Jahr eine erste Bilanz.

Noch nutzen Medienschaffende das neue kantonale Öffentlichkeitsgesetz selten, sagt der Transparenzbeauftragte. Gesuche kommen vor allem aus der Bevölkerung. Dabei hat das Gesetz einiges zu bieten: Zugang zu Dokumenten von Parlamentskommissionen beispielsweise. Selbst handschriftliche Notizen gelten als amtliche Dokumente.

Fritz Tanner, Sie haben eine Wegleitung zum Gesetz erarbeitet. Wie ist diese entstanden?

Die Idee dazu ist während der Beratung des Öffentlichkeitsgesetzes im Parlament entstanden. Statt einer Verordnung haben wir uns für einen Leitfaden entschieden, mit einem Kommentar zum Gesetz. Dabei habe ich mich vor allem auf die Botschaft und die Diskussionen in der Kommission gestützt. Wir haben den Leitfaden digital veröffentlicht und werden ihn nach Bedarf anpassen und weiterentwickeln. Ziel ist, dass zum Beispiel eine Gemeinde, die mit einem Gesuch nicht weiterkommt, darin Antworten findet und eine Übersicht erhält. Bei uns im Kanton Thurgau sollen die Gemeinden möglichst selbständig sein können. Bei mir nachfragen darf man natürlich immer noch.

Wie sind Ihre ersten Erfahrungen damit?

Die sind positiv. Der Leitfaden ist verständlich und wird als nützliche Hilfe angeschaut. Am Anfang haben wir eine Seite «für den eiligen Leser» aufgeführt, hier können erste Praxisfragen abgeholt werden. Was ebenfalls Anklang fand, sind die zwei Tafeln zum Prozess. Insbesondere die erste vom Gesuch bis zur Stellungnahme, wo auch die Fristen ersichtlich sind.

Was ist noch unklar?

Es gibt vereinzelte Punkte. Am Anfang mussten wir zum Beispiel klären, wer für die Behandlung der Gesuche zuständig ist. Einige Behörden wollten sich direkt an den Rechtsdienst wenden. Dieser ist aber erst im Beschwerdeverfahren zuständig, weil dieser bei einer nicht erfolgreichen Schlichtung und der folgenden Verfügung des Amtes dann die Sache in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren als Rekursbehörde neutral beurteilen sollte. Deshalb sollte bei der Schlichtungsverhandlung nicht die gleiche Person des öffentlichen Organs teilnehmen, welche anschliessend eine allfällige Verfügung des Amtes beurteilen muss. Das öffentliche Organ, das über die Daten verfügt, ist zuständig für ein Gesuch und sollte Auskunft geben.

Auch war nicht klar, welche Angaben ein Gesuchsteller genau machen muss. Eine E-Mail-Adresse reicht zum Beispiel nicht aus, denn manchmal landen E-Mails im Spam-Ordner. Wir müssen deshalb eine physische Adresse haben, falls wir beispielsweise eine Vorladung zustellen müssen oder es zu einem Schlichtungsverfahren kommt. Dies etwa gerade auch bei Vereinen. Mit den Fristen gibt es teilweise noch Schwierigkeiten, so sollte man ein Schlichtungsverfahren nicht erst vier Monate nach einem negativen Entscheid der Behörde einreichen. Wir werden den Leitfaden dementsprechend ergänzen, damit das klarer ist.

Hat dieser Leitfaden einen Einfluss auf die Umsetzungspraxis und die Rechtspraxis?

Er hat geklärt, wie das Öffentlichkeitsgesetz in den Gemeinden gehandhabt werden soll. Ich war erstaunt, wie wenig Schlichtungsgesuche gekommen sind – bis jetzt wurde erst eines gestellt; es ist noch hängig. Gemeinden erteilen die Informationen so, wie es sein muss, sonst wären die Gesuchstellenden unzufrieden und würden sich melden. Wir haben natürlich betont, dass die Gemeinden Gesuche nicht einfach weglegen dürfen und Fristen einhalten müssen.

Wie gross ist das Wissen über das neue Gesetz in den Verwaltungen des Kantons und der Gemeinden?

Einige Gemeindeangestellte hatten die Diskussionen dazu im Grossrat verfolgt und mitbekommen, wie das Öffentlichkeitsgesetz entstanden ist. Wir haben anschliessend massiv informiert, haben bei vielen Departementen, Schulen und Ämtern Vorträge gehalten. Zusätzlich haben wir auf unserer Website ein Musterdokument hochgeladen für die privaten Gesuchsteller, damit diese wissen, wie ein Gesuch aussehen sollte. Bald kommt auch noch ein Muster für die Schlichtung dazu. Die Musterdokumente für die Behörden laden wir statt ins Intranet ebenfalls direkt auf die Website, damit alles transparent ist.

Das Öffentlichkeitsprinzip wurde im Kanton Thurgau 2019 gegen den Widerstand des Regierungsrats mit einer Volksabstimmung durchgesetzt. Wie lässt sich der Widerstand gegen das Öffentlichkeitsgesetz erklären?

Das Parlament hatte relativ knapp Nein gesagt, das Öffentlichkeitsprinzip wurde danach aber per Volksinitiative wieder eingebracht und vom Volk klar angenommen. Vor allem die Gemeinden hatten im Vorfeld generell Angst – nicht, dass man etwas verstecken wollte, aber dass dieses neue Gesetz zu viel mehr Arbeit führen würde. Dabei ist das Öffentlichkeitsgesetz jetzt im Sinn der Behörden: Sie dürfen neu auch in laufenden Verfahren informieren zur Berichtigung oder Verhinderung von Falschinformationen. Das Gesetz geht hier also weiter als in anderen Kantonen. Ziel ist es, die Transparenz in beide Richtungen zu verstärken.

Ist es zu einer Welle von Zugangsgesuchen gekommen, so wie dies im Vorfeld befürchtet wurde?

Bei den kantonalen Behörden nicht. Insgesamt gab es 48 Anfragen bei mir. In den Gemeinden kam es teilweise schon zu einem Mehraufwand. Eine Gemeinde erhielt gar von der gleichen Person alle paar Tage ein Gesuch. Ob berechtigt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Da die Gemeinde diese Gesuche bearbeitet und Auskunft gibt, scheint das Öffentlichkeitsprinzip auch da zu funktionieren.

Sind Sie mit dem Gesetz, so wie es vorliegt, zufrieden?

Für mich ist es gut. Wenn man als einer der letzten Kantone so ein Gesetz einführt, kann man von den Erfahrungen anderer Kantone und des Bundes profitieren. Der Vorteil lag auch darin, dass ich mich in den Kommissionen miteinbringen konnte. Ausserdem gab es vorher noch eine Vernehmlassung. Dadurch wurde neu das Schlichtungsverfahren aufgenommen. Das finde ich wichtig. Der Kanton Thurgau ist ein Kanton der kurzen Wege, man sollte auch in Sachen Öffentlichkeitsprinzip miteinander sprechen können, spätestens in einem Schlichtungsverfahren. Das passt zum Thurgau.

Wenn Medienleute gestützt auf das neue Recht ausserhalb der Kommunikationsagenda nach Informationen verlangen, kann das der Verwaltung Mühe bereiten. Wie überzeugen Sie die Verwaltung, dass es zu ihrem Vorteil ist, transparent zu sein?

Ich muss sie nicht überzeugen, das ist gesetzlich vorgegeben und das Volk wollte das so. Ich dachte anfangs, dass vor allem Medien Gebrauch vom Öffentlichkeitsgesetz machen würden, aber es stellte sich heraus, dass die Gesuche vor allem von der Bevölkerung kommen. Interessant ist, dass wir im Kanton Thurgau einen sehr weiten Begriff von Akten haben, das kann auch ein handschriftlicher Notizzettel sein, das ist nicht in allen Kantonen so. Auch haben wir in den parlamentarischen Kommissionen kein Kommissionsgeheimnis mehr, mit Ausnahme der Aufsichtskommission. Es kann ein Vorteil sein, wenn man versteht, wie genau ein Gesetz zustande gekommen ist. Aber es kann auch ein Nachteil sein, weil sich dadurch gewisse Parlamentarierinnen und Parlamentarier vielleicht nicht mehr getrauen, Fragen zu stellen.

Als Datenschützer amten Sie neu auch als Öffentlichkeitsbeauftragter. Was wird da Ihre Rolle sein?

Eigentlich beisst sich das ja, der Datenschützer will alles verschliessen, der Öffentlichkeitsbeauftragte alles öffnen. Aber ich finde es trotzdem gut, dass die beiden Funktionen in Personalunion vereint sind; bei zwei verschiedenen Personen bräuchte es sonst immer Absprachen und es gäbe Streit. Gegenüber Privatpersonen kann ich keine klare Auskunft geben, weil ich nur eine Empfehlung abgeben darf, die Behörde aber entscheidet, was sie rausgibt. Dennoch habe ich eine Funktion der Kontrolle der Behörden und schaue, ob Kanton und Gemeinde ihre Arbeit machen.

Wie lange wird es dauern, bis sich das Öffentlichkeitsprinzip im Kanton Thurgau durchgesetzt hat?

Wir werden natürlich weitermachen mit Ausbildungen und wir werden den Leitfaden regelmässig aktualisieren. Das Bewusstsein ist in den Gemeinden und in den kantonalen Behörden da. Der Übergang vom Gesetzesprojekt zur Umsetzung in der Praxis hat funktioniert.


Kommentar schreiben

Sie müssen angemeldet sein, um einen Kommentar schreiben zu können.