Ohne Spitäler und Kirchen: Transparenz in engen Grenzen

Von Martin Stoll. Die Vernehmlassung für ein Thurgauer Öffentlichkeitsgesetz zeigt unterschiedliche Vorstellungen guter Verwaltungsführung: Gemeinden verstehen Transparenz nicht, Öffentlichkeitsgesetz.ch möchte mehr davon.
Geht es nach dem Verband Thurgauer Gemeinden, könnte ein Gesuch um Zugang zu einem amtlichen Dokument in Zukunft ganz unbürokratisch erledigt werden: Medienschaffende oder Bürgerinnen und Bürger würden über den Inhalt einer Akte informiert. Dokumente würden die Gemeinden nicht herausgeben müssen.
Diese eher seltsame Vorstellung über die Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips präsentiert der Gemeindeverband in seiner Vernehmlassungsantwort. Wie die Thurgauer Regierung wehrten sich die Gemeindespitzen gegen die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips. Bei einer Ausweitung der Informationspflicht befürchten sie «eine gewisse Verunsicherung der Bevölkerung durch Über-Information».
Der steinige Weg zu einem Öffentlichkeitsgesetz im Thurgau
2014 forderte der grünliberale Thurgauer Kantonsrat Ueli Fisch den Regierungsrat auf, dem Kantonsparlament eine Vorlage zur Einführung des Öffentlichkeitsprinzips zu unterbreiten. Dies war der Auftakt einer scharf geführten Debatte um mehr Transparenz in der Verwaltung.
Die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips sei «in einem direktdemokratischen System zwar vielleicht wünschenswert», antwortete die Regierung, sie sei aber nicht nötig. Man pflege eine «situative, pragmatische und liberale» Informationspraxis und unterrichte die Bevölkerung aktiv, kontinuierlich und «in angemessenem Umfang».
Auch nachdem 4265 Bürgerinnen und Bürger per Volksinitiative die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips verlangt hatten, stellte sich die Thurgauer Regierung quer. In ihrer Stellungnahme im September 2018 schrieb sie: «Der Mehrwert des Öffentlichkeitsprinzips ist nicht belegt.»
Am 19. Mai 2019 bekam der Regierungsrat von seiner Bevölkerung die Quittung: Über 80 Prozent sagten Ja zur Volksinitiative «Offenheit statt Geheimhaltung – für transparente Behörden im Thurgau». Der Kanton war jetzt verpflichtet, das Öffentlichkeitsprinzip einzuführen.
Der Unmut über eine intransparente Verwaltung war im Kanton Thurgau genährt worden durch verschiedene Behördenversagen, unter anderem den Tierschutzfall in Hefenhofen TG. Der Untersuchungsbericht zur Causa empfahl ausdrücklich die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips. 2022 soll das Thurgauer Öffentlichkeitsgesetz in Kraft gesetzt werden.
Auch nachdem die Stimmbevölkerung 2019 die Einführung der Verwaltungstransparenz erzwungen hat, scheinen die Gemeinden nicht einsichtiger zu sein. Wie sei damit umzugehen, fragen sie in ihrer Vernehmlassung, wenn einem Kunde die Einsichtnahme vor Ort ermöglicht würde «und dieser ein Foto der Unterlagen machen will? Aus unserer Sicht sollte das nicht möglich sein.»
Gemeinden wollen keine Kontrolle durch den Kanton
Die Ausführungen zeigen, wie weit entfernt die Gemeindeverwaltungen im Thurgau von der Gedankenwelt moderner Verwaltungen sind. Das Öffentlichkeitsprinzip will, dass sich eine interessierte Öffentlichkeit im demokratischen Diskurs auf ungefilterte Verwaltungsinformationen abstützen kann – und nicht auf Dokumenten-Zusammenfassungen von Behörden. Dass Dokumente, zu denen der Zugang gewährt wird, in Kopie ausgehändigt werden müssen, ist in der Rechtspraxis unbestritten.
Begrüssenswert ist deshalb, dass der Entwurf des Thurgauer Öffentlichkeitsgesetzes eine kantonale Stelle vorsieht, welche auch Gemeinden im Umgang mit dem neuen Gesetz berät. Dieser oder diese Öffentlichkeitsbeauftragte soll auch Rechtsmittel gegen Umsetzungsentscheide ergreifen könnten. Die Gemeinden fühlen sich laut ihrer Vernehmlassungsantwort dadurch aber in der Autonomie eingeschränkt. Weiter verlangen sie, dass die Einsicht in amtliche Akten grundsätzlich kostenpflichtig ist.
Kein Ausschluss der Kirchen und der Spitäler
Was den Gemeinden zu viel, ist dem Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch zu wenig. In seiner Stellungnahme regt er unter anderem die folgenden Änderungen an:
- Landeskirchen und die Bürgergemeinden sollen Teil der Gesetzesvorlage werden. Ein pauschaler Ausschluss vom Öffentlichkeitsprinzip ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht haltbar.
- Dasselbe gilt für die pauschale Befreiung von drei staatsnahen Unternehmen vom Öffentlichkeitsprinzip, der EKT Holding AG (Energieversorgung), der thurmed AG (Gesundheitswesen) und der Thurgauer Kantonalbank.
- Eine Anwendung des Öffentlichkeitsprinzips auf erst ab dem 20. Mai 2019 erstellte Dokumente ist problematisch. Eine solche Regelung wird von Rechtsexperten als Widerspruch zur EGMR-Rechtsprechung gewertet.
- Der Ausschluss von parlamentarischen Kommissionsprotokollen ist bedauerlich. Zumindest nach Abschluss eines Gesetzgebungsgeschäfts sprechen keine öffentlichen Interessen gegen eine Offenlegung.
Weiter fordert Öffentlichkeitsgesetz.ch in seiner Vernehmlassungsantwort eine Bestimmung, welche Verwaltungseinheiten verpflichtet, Zahlen zur Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips beizubringen. Eine solche Statistik gäbe der Öffentlichkeit Aufschluss über den angestrebten Transformationsprozess.
Erfreulich ist hingegen, dass das Öffentlichkeitsprinzip im Kanton Thurgau laut dem erläuternden Bericht «möglichst liberal und grosszügig» und zudem für Benutzende kostenlos umgesetzt werden soll.