Freihändige Vergaben: Licht in der Dunkelkammer

Von Sven Altermatt. Der Solothurner Regierungsrat vergibt heikle Millionen-Aufträge unter der Hand. Aufgedeckt wurden die Missstände auch dank dem Öffentlichkeitsgesetz.
Die Enthüllung platzt mitten in eine ohnehin schon angespannte Debatte: Seit Wochen diskutiert die Solothurner Politik über eine heikle Auslagerung. Es geht um die Steuererklärungen des Kantons, die bei der Firma RR Donnelley im zürcherischen Urdorf digitalisiert werden. Die Auslagerung ist umstritten, weil das Unternehmen zu einem US-Konzern gehört. Befürchtet wird, dass sensible Steuerdaten in die Hände von amerikanischen Behörden gelangen könnten. Und dann auch noch das: Die «Solothurner Zeitung» enthüllt, dass der Regierungsrat seit 2002 sämtliche Aufträge an RR Donnelley unter der Hand vergeben hat. Die Firma kann bis heute Aufträge in der Höhe von insgesamt über 11 Millionen Franken generieren – ohne jemals die Konkurrenz anderer Firmen gefürchtet zu haben. Es ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Politiker aller Couleur reagieren empört, die Geschäftsprüfungskommission wird aktiv.
Der Veröffentlichung ist ein wochenlanges Ringen mit den Behörden vorausgegangen. Am Anfang der Recherche steht ein Hinweis, dass bei den Vergaben an RR Donnelley «etwas krumm gelaufen» sei. Der Hinweis ist noch mit dem Vorbehalt des Angeblichen versehen, als die «Solothurner Zeitung» bei der Staatskanzlei ein Gesuch um Offenlegung der Vergaben an RR Donnelley einreicht. Konkret geht es um zwei geheime Regierungsratsbeschlüsse aus dem Jahr 2007.
Solothurn kennt als einer der ersten Kantone seit 2003 ein generelles Recht, das jedem Bürger die uneingeschränkte Einsicht in amtliche Akten erlaubt. Schweizweit einmalig: In Solothurn sind seit jeher auch die Sitzungen des Regierungsrats öffentlich zugänglich. Einzig bei Personalia und Auftragsvergaben bleiben die Türen verschlossen. Entsprechend tief ist das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung verankert, und entsprechend schnell werden die geforderten Beschlüsse ausgehändigt. Bereits einen Tag nach der Anfrage liegen die Dokumente vor. Allerdings hat die Sache einen entscheidenden Haken: In den beiden Beschlüssen sind sämtliche Angaben zu Auftragsvolumen eingeschwärzt. «Aus submissionsrechtlichen Gründen» könne die Einsicht nur beschränkt gewährt werden, heisst es bei der Staatskanzlei. Dabei ist es gerade vom Volumen abhängig, ob ein Auftrag öffentlich ausgeschrieben werden muss.
Entscheidendes eingeschwärzt
Immerhin geben die Dokumente nun Aufschluss über den Mechanismus hinter den Vergaben: Der Regierungsrat hat die Aufträge an RR Donnelley jeweils als Folgevergaben zu einem Auftrag aus dem Jahr 2002 deklariert und deshalb freihändig vergeben. Also bittet die «Solothurner Zeitung» in einem neuerlichen Gesuch um Einblick in zwei weitere Beschlüsse der Regierung. Wieder werden die entsprechenden Dokumente innert kurzer Zeit herausgerückt. Doch entscheidende Passagen zu Auftragsvolumen sind erneut eingeschwärzt. Und Rückfragen werden jetzt nur noch knapp beantwortet.
Detaillierte Zahlen fehlen zwar. Aber mit dem vorhandenen Material kann die Redaktion nun die Systematik hinter den Vergaben an RR Donnelley rekonstruieren: Zwischen dem angeblichen Grundauftrag von 2002 und den als Folgeaufträge deklarierten Vergaben besteht kaum ein sachlicher Zusammenhang. Das verstösst gegen das Gesetz, wie zwei spezialisierte Juristen bestätigen. Gleichzeitig nähren Insider-Aussagen und frühere Angaben der Behörden einen Verdacht: Der Grundauftrag und die Folgeaufträge stehen finanziell in keinem angemessenen Verhältnis zueinander.
Öffentlichkeitsbeauftragte hilft
Die Redaktion konfrontiert die Behörden mit den vorläufigen Ergebnissen der Recherchen. Daraufhin vollziehen diese überraschend eine Kehrtwende. Nach einer internen Untersuchung bestätigt das zuständige Finanzdepartement: Aufträge in Millionen-Höhe wurden unter der Hand an RR Donnelley vergeben. Es bestätigt, dass zwischen dem Auftrag von 2002 und den folgenden Vergaben kein enger Sachzusammenhang besteht. Und es räumt ein, dass damit gegen das Beschaffungsrecht verstossen wurde.
Auf einer Liste werden erstmals auch die Höhen der einzelnen Vergaben offengelegt. Die Zahlen verdeutlichen das Ausmass der Misstände: Das Volumen der Folgeaufträge ist über 6000 Prozent grösser als der angebliche Grundauftrag. Angemessen wären maximal 50 Prozent. Warum der plötzliche Gang in die Offensive? Dieser dürfte auch damit zu erklären sein, dass die «Solothurner Zeitung» nach dem Erhalt der geschwärzten Dokumente bei der kantonalen Beauftragten für Information und Datenschutz interveniert. Das wirkt: Die Beauftragte prüft die Sachverhalte und spricht mit den Behörden. Eine Schlichtung muss erst gar nicht eingeleitet werden.
Sven Altermatt ist Stagiaire bei der «az Solothurner Zeitung»/«Nordwestschweiz»